Silvopastorale Systeme

Verfasst von Dr. Ernst Kürsten. Veröffentlicht in Allgemein

Halboffene Waldlandschaften zählen zu den ältesten Formen der Landnutzung und sind seit neolithischer Zeit (4000 v. Chr.) bekannt. In Mitteleuropa war es bis ins 20. Jh. hinein weit verbreitete landwirtschaftliche Praxis, Haustiere, wie Schweine, Rinder oder Ziegen, in den Wald zu treiben, damit sich die Tiere dort an Eicheln, Bucheckern, Kastanien oder Grünfutter satt fraßen. Sogenannte Hute- oder Hudewälder findet man heute nur noch vereinzelt. Neben dem Wald wurden traditionell auch Streuobstwiesen beweidet. (Weitere Inormationen dazu auf der Website des DeFAF)

Nachdem solche klassischen Formen der gemeinsamen Bewirtschaftung von Bäumen und Nutztieren aus verschiedenen Gründen eingestellt wurden, entwickeln sich in den letzten Jahren wieder neuartige Varianten:

1. Baumpflanzungen im Auslauf von Freilandhühnern sind eine aktuelle und sehr spezielle Möglichkeit, mit Gehölzen Mehrwert auf landwirtschaftlichen Flächen zu schaffen!

Hühnerwald
  Hühner lieben den Schutz von Gehölzen

Aktuelles Praxisbeispiel: In der Ringvorlesung der Agroforstgruppe Göttingen berichtete am 9.1.2020 Jochen Hartmann (Hof Hartmann in Rettmer (Lüneburg)) von seinen Erfahrungen mit Pappelstreifen in der Freilandhühnerhaltung: Die ersten Versuche mit mobilen Ställen auf Grünland zeigten, dass sich die Hühner nicht weit von ihren Ställen entfernen, weil sie (sehr berechtigte!) Angst vor dem Habicht hatten. Basierend auf der Erkenntnis, dass Hühner eigentlich Waldvögel sind, ließ sich Herr Hartmann von Burkhard Kayser beraten und pflanzte streifenweise Pappeln auf die Hühnerauslaufflächen. Im ersten Jahr wuchsen diese auf ca. 3 m Höhe heran und bieten den Hühnern seitdem Schutz vor Angriffen aus der Luft und auch vor Hitze. Der letzte Aspekt wurde in den beiden letzten Sommern besonders wichtig und Herr Hartmann plant inzwischen auch beschattete Plätze, wo die Mobilställe an Tage mit über 30 Grad C stehen können.

Jochen Hartmann erläutert sein Hühnerwaldkonzept
Jochen Hartmann erläutert sein Hühnerwaldkonzept

Nicht nur optisch und klimatisch machen ihm die Gehölzstreifen Freude, sondern auch betriebswirtschaftlich: So waren die Investitionskosten vergleichsweise gering und wurden bereits durch die stark verminderten Verluste durch den Habicht kompensiert. Kostenmindernd wirkte auch der Einsatz von etwa 50 Freiwilligen (Kunden mit ihren Kindern), die die Pappelruten mit in den Boden steckten und das Engagement des Großabnehmers Edeka, der die Stecklinge bezahlte. Wegen der für sie deutlich erkennbaren „naturnahen“ Haltung der Hühner und der guten Qualität zahlen die Kunden für die Eier auch gerne 40 Cent ab Hof oder 45 Cent bei Edeka. Dazu ist auch kein teures „Label“ erforderlich, sondern durch die Sichtbarkeit der Haltungsbedingungen (und d sodass die Bilanz sehr positiv wird, obwohl 1 -1,5 ha Fläche pro Mobilstall (mit je 240 Hühnern) gebraucht werden, um eine ausreichende Regenera­tion des Grünlandes nach etwa einer Woche Beweidung zu ermöglichen. Da das wöchentliche Umsetzen von Mobilzäunen eine recht unangenehme Arbeit ist, besonders bei trockenem Boden, fiel der Entschluss, jeweils einzelne Parzellen mit Grünland und Pappelstreifen dauerhaft einzuzäunen.

Weitere konkrete Beispiele mit Erläuterungen, Fotos und z.T. Videos findet man hier:

Bauckhof in KleinSüstedt (bei Uelzen) (PDF)

https://www.hühner-wald.de/

https://www.wald21.com/huehnerauslauf/

https://bernstorff.de/themen/landwirtschaft

In den Niederlanden hat man auch schon Versuche gemacht, den Wertertrag durch die Kombination von Apfelbäumen mit freilaufenden Hühnern zu erhöhen. Da die Obstbäume aber empfndlich gegenüber Bodenversichtung und Nässe sind, sollten sie nicht direkt am Mobilstall stehen, wo die Dichte der Hühner am höchsten ist (Bericht dazu (PDF): "Commercial apple orchards in poultry freerange areas")

Da die Hühner (oder auch anderes Geflügel wie Puten und Enten) aber den Boden düngen und Blätter mit Schorf sowie Schadinsekten vertilgen, gibt es auch den Ansatz, in Obstplantagen durch das Einbringen von Geflügel die Behandlungen mit Pestiziden zu reduzieren bzw. zu vermeiden. Vor allem die Wirkung von Hühnern und Puten auf den Befall mit Apfelsägewespe, Apfelwickler und Kirschessigfliege interessieren die Obstbauern und wird deshalb aktuell (2019-2022) in zwei EIP-AGRI-Projekten des Kompetenzzentrums Ökolandbau Niedersachsen (KÖN) untersucht. (Ausführlicher Bericht "Puten und Hühner als Schädlingsbekämpfer" im Landwirtschaftlichen Wochenblatt) Angesichts des wachsenden Anteils der Legehennenhaltung in Mobilställen und des mit über 8% besonders hohen Zuwachswachsrate bei den Bio-Legehennen (M. Klahsen "Positiver Wandel auf dem Eiermarkt" in Land&Forst 3/2020, S. 45) bieten sich für die Kombination von Hühnern mit Obstbäumen gute Perspektiven! 

 

2. Bäume auf Weiden

Gehölze auf Rinderweide
  Gehölze auf Weiden bieten Schatten und wertvolles Futter

Nachgewiesen ist, dass Hitzestress die Leistung von Milchkühen und Schweinen mindert. Ebenso wurden positive gesundheitliche Wirkungen des Weidegangs z.B. bei Milchkühen festgestellt (dazu: Dissertation von Linda Armbrecht 2017) und auch das Interesse der Verbraucher an Milch aus Weidehaltung führt zu einer Rückbesinnung auf die Beweidung von Grünland. Angesichts vermehrter Hitzewellen und Trockenperioden, aber auch bei Sturm und Regen werden nun Bäume als Schutz und als Zusatzfutter auch wieder interessant (Beispiel in Frankreich; PDF). In einer Studie in den Niederlanden wurde festgestellt, dass die Blätter und Triebe von Erlen und besonders Weiden wegen der darin enthaltenen Mikronährstoffe wertvoller für die Rinderernährung sind, als das Gras.

 

Damwildgehege
  Damwildgehege als silvopastorales System

 

Als ein spezielles silvopastorales System kann man ein Wildgehege (mit Fleischproduktion) mit einem entsprechenden Baumbestand ansehen. Wenn dieses, wie im Falle des Natur-Damwild-Geheges "Torfstich" bei Calvörde, auf einer ehemaligen Ackerfläche angelegt wurde, dort viele Bäume gepflanzt und durch teilweise Wiedervernässung noch der Humusabbau im moorigen Unterboden gestoppt werden, so ist das ein hervorragendes Beispiel für "Carbon Farming". Ein ausführlicher Bericht dazu von Dr. Ernst Kürsten erschien am 24.7.2020 in der Bauernzeitung: "Vom Maisacker zum Naturparadies" (PDF).

 

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